Plötzlich Teilnehmerin des Bürgerrates 2021
von Berit Binding
Im Dezember 2020 öffnete ich einen eher nach Werbung aussehenden an mich adressierten Brief, der eine Einladung zur Mitwirkung am Bürgerrat enthielt? Bürgerrat?
Schnell überflog ich den Brief und ein von unserem Bundestagspräsidenten unterzeichnetes Schreiben. Wolfgang Schäuble ist Schirmherr des Projekts. Die Idee klang überzeugend. Schnell stand für mich fest, dass das eine einmalige und tolle Gelegenheit ist, aktiv mit der Politik in den Dialog zu treten.
Durch ein Zufallsverfahren wurden letztendlich ich und 159 weitere Bürgerinnen und Bürger aus Deutschland für die Teilnahme ausgelost. Kurz vor Weihnachten erfolgte ein Willkommenspaket und bald sollte es auch schon losgehen! An sechs Mittwochabenden und an vier ganzen Samstagen - verteilt über einen Zeitraum von zwei Monaten - sollte der Bürgerrat tagen. Covid-19-bedingt sollten und konnten wir leider nicht nach Berlin reisen (schade!), sondern sollten uns online in Form von Videokonferenzen treffen. Auch das stelle ich mir durchaus herausfordernd vor….
Beim Bürgerrat 2021 „Deutschlands Rolle in der Welt“ handelt es sich um den zweiten in Deutschland auf bundesweiter Ebene durchgeführten Bürgerrat. Angestoßen und initiiert wurde das Projekt 2019 von dem Verein „Mehr Demokratie“ und der „Schöpflin-Stiftung“.
Bürgerräte stellen eine Möglichkeit da, die Bevölkerung stärker in die Politik einzubeziehen und somit das Vertrauen in die Politik zu kräftigen und der repräsentativen Demokratie in Deutschland neue Impulse zu geben.
Wolfgang Schäuble bezeichnet es als Chance, die Demokratie hier in Deutschland stabil und gesund zu halten und betrachtet einen Bürgerrat als eine "sinnvolle Ergänzung" zu den bewährten parlamentarischen Entscheidungsverfahren.
Laut ihm sind Bürgerräte gerade dann hilfreich, wenn sie sich mit umstrittenen und moralisch schwierigen Fragestellungen auseinandersetzen.
Bürgerräte sind mit der Hoffnung verbunden, einer Entfremdung zwischen den Menschen dieses Landes und der Politik entgegenzuwirken. Davon könne die Demokratie Deutschlands nur profitieren.
2021 diskutierten die Bürgerinnen und Bürger zusammen mit Experten und Politikern über das anspruchsvolle Thema, welche Rolle die Bundesrepublik Deutschland zukünftig in der Welt einnehmen soll. Fünf verschiedene „Reisegruppen“ widmen sich den großen Themen Nachhaltige Entwicklung, Wirtschaft und Handel, Europäische Union, Frieden und Sicherheit und Demokratie und Rechtsstaat. Ziel ist es, für den Bundestag Ideen zu diesen komplexen Themenfeldern zu entwickeln und dem Bundestag schließlich ein abgestimmtes und von dem Bürgerrat entworfenes Gutachten mit konkreten Empfehlungen zu übergeben.
Per Los wurde ich zur Teilnehmerin der Reisegruppe „Demokratie und Rechtsstaat“.
Beschäftigt haben wir uns hier mit Fragen der Rechtsstaatlichkeit in der internationalen Zusammenarbeit, dem Multilateralismus und dem Umgang mit Autokratien wie China oder Russland.
In kleinen Schritten und mithilfe von Expertenvorträgen aus allen Bereichen haben wir uns gemeinsam und immer konkreter mit diesen komplexen Themen auseinandergesetzt.
Alle Diskussionen liefen mit einer bemerkenswerten Disziplin, Konstruktivität und großem Engagement jedes Einzelnen ab. Jeder kam zu Wort, jedem wurde zugehört und jeder wurde respektiert. Es entstanden so tiefe und spannende Diskussionen, dass wir teils auch in den Pausen weiter diskutierten.
Zwischendurch haben wir uns im Plenum getroffen, um Zwischenergebnisse der einzelnen „Reisegruppen“ zu präsentieren und gemeinsam in den Austausch dazu zu treten. Auch mit bekannten Bundespolitikern aller Parteien konnten wir in den direkten Dialog treten und über aufgekommene Fragestellungen diskutieren.
Mittlerweile hat der Bürgerrat seine Arbeit erfolgreich abgeschlossen und kann nun seine formulierten Empfehlungen Mitte März in die Hände der Politik geben. Leider werden pandemiebedingt hierzu nur zwei ausgeloste TeilnehmerInnen persönlich nach Berlin reisen können.
Nach unserem letzten Plenum am 20.02. liegen nun ungefähr 50 Stunden intensive Diskussion und Arbeit hinter mir. Neben der Schule war dies durchaus anstrengend. Gleichzeitig durchlebte ich aber eine wirklich spannende und interessante Zeit, die ich als sehr wertvoll erlebt habe. Als übrigens jüngste Teilnehmerin des Bürgerrates 2021 hatte ich zudem zwei Radiointerviews (hr-iNFO) sowie weitere Interviews, u. a. mit der Süddeutschen Zeitung (SZ). Auch dies war für mich sehr spannend.
Radio-Interview mit hr-iNFO (1) - Radio-Interview mit hr-iNFO (2)
Die Arbeit in einem Bürgerrat, in dem ausgeloste Bürgerinnen und Bürger unterschiedlichsten Alters, verschiedenster Herkunft und Meinung aufeinandertreffen, hat gezeigt wie schwer es sein kann, eine von der Mehrheit getragene abschließende Position zu formulieren. Die Mitwirkung im Bürgerrat hat mir aber auch gezeigt, dass Ergebnisse und Einigungen durch ein gut und fair geführtes Gespräch und einen Austausch auf Augenhöhe möglich sind.
Aufgrund meiner Erfahrung würde ich ein Fortsetzen von Bürgerräten in solcher Form befürworten. Viele Menschen äußern sich kritisch über „die Politik“. Andere wünschen sich mehr von „der Politik“ gehört oder einbezogen zu werden. Der Bürgerrat stellt eine direkte Chance dar, sich selbst politisch einzubringen, zu spüren, wie Politik funktioniert und dadurch politische Prozesse zu stärken. Außerdem stärkt er das Bewusstsein für demokratische und politische Prozesse und schafft dadurch vielleicht auch mehr Verständnis für politische Entscheidungen.
Was erwarte ich nun, was mit unserem Bürgergutachten passiert?
In jedem Falle wünsche ich mir eine intensive Auseinandersetzung mit unseren Positionen. Ich möchte erfahren, welche unserer Empfehlungen von der Politik aufgenommen, oder auch verworfen werden.
Langfristig gesehen erhoffe ich mir die Etablierung solcher Bürgerräte.